Von Mauern, Steinen und Geiern – unterschiedliche Bestattungsrituale
Wenn wir an eine Beerdigung denken, dann haben wir meist ein Bild vor Augen: eine frisch ausgehobene Grube, die Trauergemeinde darum herum versammelt. Das Wort Beerdigung trägt es in sich: Die Erdbestattung beherrscht unsere Vorstellung davon, wie wir mit unseren Verstorbenen umgehen. US-amerikanische und nordeuropäische Filme und Serien bekräftigen dieses Bild. Doch die verschiedenen Kulturen und Witterungsbedingungen haben ganz unterschiedliche Bestattungsriten hervorgebracht.
Eingemauert – Mauergräber in Italien und Spanien
Bereits rund 1.000 Kilometer südlich, in Italien und Spanien, ist eine Beerdigung vielmehr eine „Einmauerung“. Die Friedhöfe bestehen meist aus hohen, circa 2 Meter dicken Mauern, mit Kammern für die Särge. Jede Kammer gerade so groß, dass der Sarg genau hineinpasst.
Anders als bei uns, wo zwischen Tod und Beerdigung in aller Regel 5 Tage oder mehr liegen, wird in Spanien eine Beerdigung sehr kurzfristig anberaumt. Wenn möglich, findet sie schon am kommenden Tag statt. Früher wurde der Verstorbene bis dahin zu Hause aufgebahrt, und die Familie hielt Totenwache. Heute werden die meisten Toten kurze Zeit nach Eintritt des Todes außer Haus beziehungsweise vom Krankenhaus aus in das so genannten Velatorio, die Aufbahrungshalle, gebracht. Dort wird der Verstorbene kühl aufgebahrt.
Die Hinterbliebenen verbringen den Tag und oftmals die gesamte Nacht mit dem Toten. Es ist die Zeit des Abschieds – für die Familie ebenso wie für Freunde und Bekannte. Jeder kann vorbeikommen, der Familie kondolieren und den Toten noch einmal sehen. Da alles schnell und plötzlich geschieht, kommen einige direkt von der Arbeit oder von unterwegs. So gibt es auch keine Kleiderordnung: Come as you are – komm so, wie du bist – trifft hier zu.
Auch am Beerdigungstag selbst tragen die Besucher nicht unbedingt Schwarz. Gepflegt angezogen genügt, vielleicht nicht gerade in Rot oder Neongrün, lieber etwas dezenter, aber es muss eben nicht Schwarz sein. Blumen mitzubringen, ist ebenfalls nicht üblich. Sie würden in der Hitze ohnehin schnell verwelken.
Nach dem Gottesdienst ziehen die Trauernden unmittelbar zum Friedhof. Dort geht es dann recht zügig. Der Sarg wird in die Mauer geschoben, und ein Maurer verschließt die Kammer. Keine weitere Predigt, keine Ansprache. Nachdem die Grabkammer zugemauert ist, verlassen die Trauergäste den Friedhof.
Wenn der Boden keine Gräber zulässt – Bestattungen im Permafrost
Nicht Hitze, sondern extreme Kälte hat über Jahrhunderte die Bestattungsrituale der Inuit, der Ureinwohner Alaskas, bestimmt. Über sehr lange Zeit lebten die Inuit als Nomaden. Das hatte zur Folge, dass sie weder feste Grabplätze noch Friedhöfe kannten. Die Toten wurden gewaschen und gekämmt, anschließend in ein Fell oder eine Wolldecke gehüllt und weit hinaus in die Tundra gebracht, wo sie mit dem Gesicht zum Himmel abgelegt wurden. Um die Körper vor wilden Tieren zu schützen, errichteten die Hinterbliebenen einen Steinhügel über den Toten. Die Geister der Toten wurden zu Polarlichtern.
Seitdem die Inuit sesshaft geworden sind und in Siedlungen wohnen, bestatten sie ihre Toten auf Friedhöfen. Heute sind die meisten Inuit Christen. Entsprechend spielen christliche Bestattungsrituale die Hauptrolle, bevor die Särge in die Erde gelassen werden. Doch das ist nur im Sommer möglich. Im Winter ist der Boden zu festgefroren. Daher werden diejenigen, die in den Wintermonaten sterben, in einer abseits stehenden Hütte aufbewahrt. Eine Kühlung ist nicht nötig: Der Winter ist kalt genug, um die Körper vor dem Verwesen zu schützen. Im Sommer, wenn das Klima es wieder zulässt, werden die Toten begraben. Gleichwohl verhindert der Permafrost mitunter selbst im Sommer das Ausheben tiefer Gräber, so dass häufig immer noch Steinhügel über den Verstorbenen aufgetürmt werden.
Rufen Sie uns an 0800-6080908 oder schreiben Sie uns eine E-Mail.
Von den Geiern in die Lüfte getragen – Himmelsbestattungen bei den Tibetern
Während die Inuit versuchten und versuchen, ihre Toten vor wilden Tieren zu schützen, lassen die Tibeter ihre Toten absichtlich von Geiern auffressen. Nach tibetischer Vorstellung trennt sich die Seele nach dem Tod vom Körper. Die Seele des Verstorbenen ist also lange nicht mehr im Körper, wenn dieser bestattet wird. Somit wird nicht die Essenz des Menschen beigesetzt, sondern nur das Fleisch. Dieses wird, indem die Geier es fressen, in den Kreislauf des Lebens zurückgegeben.
Bei der tibetischen Luftbestattung wird der tote Körper auf eine von Gebetsfahnen umgebene Plattform gelegt. Der Tomden, der tibetische Bestatter, beginnt nun damit, das Fleisch von den Knochen zu trennen. Der Rauch eines aus Wacholderzweigen entzündeten Feuers zusammen mit dem Geruch des Fleisches lockt die Geier an. Diese bringen nach tibetischem Glauben die Seele des Verstorbenen in den Himmel und können gleichzeitig von dessen Körper profitieren.
Während die Geier das Fleisch verzehren, zerstückelt der Bestatter das Skelett weiter und wirft einzelne Brocken den Geiern vor. Die verbleibenden Knochen werden pulverisiert, der Schädel mit einem Stein zerschlagen. Dabei rezitiert der Tomden Mantras. Das Gehirn wird mit Tsampamehl und Knochenstaub vermischt, bevor es ebenfalls den Geiern als Futter dient. Außer einigen Knochenstückchen bleibt nichts von dem Menschen übrig.
Auf viele Menschen wirkt die tibetische Tradition der Himmelsbestattung wahrscheinlich äußerst befremdlich. Die verschiedenen Bestattungsformen zeigen jedoch, wie groß die Bandbreite kultureller Verhaltensweisen ist. Auch wenn man es aus der Perspektive der eigenen Kultur vielleicht nicht so leicht nachvollziehen kann: Jede ehrt auf ihre Weise ihre Verstorbenen. Sie bleiben so oder so auf ewig im Gedächtnis der Lebenden.
zurück