Wie können Sie nach einem Mord den trauernden Angehörigen helfen?
Die Mordrate in Deutschland ist extrem gering. Trotzdem werden jährlich im Schnitt etwa 300 Menschen Opfer eines Mordes. Sie hinterlassen trauernde Familien, die mit diesem ungeheuerlichen Verlust weiterleben müssen.
Als betroffener Familienangehöriger mit seiner Trauer nach einem Mord umzugehen, ist schwer. Was können Sie als Freund, Freundin, als Bekannter oder Nachbarin tun, um den Hinterbliebenen eines ermordeten Menschen beizustehen?
Seien Sie für die Hinterbliebenen da
Natürlich ist die Unsicherheit da: Wie sollen Sie den Hinterbliebenen begegnen? Schließlich ist ein Mord etwas, das uns alle sprachlos zurücklässt, das uns generell hilflos macht.
Für viele ist es schon ohne die Tragödie eines Mordes schwer, die Trauer eines anderen Menschen auszuhalten. Oft vermeiden wir daher den Kontakt mit Trauernden. Weil wir nicht wissen, was wir sagen, wie wir uns verhalten sollen.
Doch seien Sie sich gewiss: Sie können so gut wie nichts falsch machen – außer nicht für Ihren Freund, Ihre Freundin, die Trauernden da zu sein.
Nach einem Mord: Bereiten Sie sich auf starke Gefühle vor
Bereiten Sie sich auf extrem starke Gefühle vor. Denn die Hinterbliebenen sind auf ihre Art Überlebende eines Gewaltverbrechens, sind traumatisiert. Dies betrifft auch die Art und Weise, wie sie trauern.
Der Schmerz, einen geliebten Menschen durch Alter, Krankheit oder einen Unfall zu verlieren, ist groß, der Schmerz nach einem Mord hingegen ist elementar. Bei einem Mord wurde ein Mensch absichtlich aus dem Leben gerissen. Die Trauer geht entsprechend sehr, sehr viel tiefer, dauert oft länger und verändert die Hinterbliebenen wesentlich stärker als bei einem „normalen“ Tod. Sie betrauern nämlich nicht nur den geliebten Menschen, sondern auch die Art und Weise, wie er starb.
Stellen Sie sich also darauf ein, dass sich Schmerz, Wut, Angst, Verzweiflung machtvoll Bahn brechen können, dass die Hinterbliebenen weinen und wütend sind und sich ihre Gefühle im Bruchteil von Sekunden ändern können. Lassen Sie sich davon nicht irritieren, werten Sie nicht, kritisieren Sie nicht. Seien Sie einfach nur da.
Manchmal fühlt man gar nichts: Schock
Oftmals breitet sich in den Hinterbliebenen ein Gefühl der Leere aus. Sie nehmen die Welt wie durch Watte wahr, sind innerlich taub. Dies ist ein Schutzmechanismus unserer Psyche. So bewahren wir uns davor, vom Schmerz überwältigt zu werden.
Die Angehörigen wirken daher manchmal eher ruhig statt aufgewühlt. Gehen Sie nicht davon aus, jemand benötige Ihre Unterstützung nicht, nur weil er oder sie gefasst wirkt. Im Gegenteil: Sobald der Schock, die Taubheit nachlässt, kommen die Gefühle mit aller Macht, und dann braucht man jemanden, der einem zur Seite steht.
Hinterbliebene eines ermordeten Menschen haben Redebedarf: Hören Sie zu
Zuhören. Mehr brauchen Sie oft gar nicht zu tun. Leihen Sie den Hinterbliebenen Ihr Ohr – und Ihr Herz. Es werden keine Lösungen von Ihnen verlangt, keine Ratschläge. Die Trauernden möchten meist nur reden, über ihren Verlust, ihre Wut, ihre Ängste. Sich das Erlebte von der Seele zu sprechen, erleichtert und hilft, es zu verarbeiten.
Wenn der trauernde Mensch Ihnen etwas erzählt, unterbrechen Sie seinen Redefluss nicht. Seien Sie geduldig. Selbst wenn Sie alles schon kennen, sich das Gespräch im Kreis dreht. Lassen Sie ihn seine Geschichte immer und immer wieder erzählen. So oft, wie er es braucht.
Bleiben Sie bei Ihrem Gegenüber. Konzentrieren Sie sich ganz auf seine Perspektive. Vermeiden Sie, sich selbst in das Gespräch zu bringen; zum Beispiel durch Sätze wie „Ich weiß, wie du dich fühlst“. Auch wenn Sie sie eigentlich gut meinen: Sie wissen nicht, wie der oder die andere sich fühlt.
Vermeiden Sie außerdem Klischees. Oftmals retten wir uns in (abgedroschene) Redewendungen, wenn wir nicht wissen, was wir sagen sollen. Doch Sprüche wie „Die Zeit heilt alle Wunden“ oder „Du musst jetzt stark sein“ helfen in dieser Situation nicht weiter. Schweigen oder nur ein leises „Hmm“ als Zeichen, dass Sie zuhören, kann hier besser sein.
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Ein Mord macht wütend: Akzeptieren Sie die Wut der Hinterbliebenen
Manchmal kommt sie scheinbar aus dem Nichts: die Wut der Trauernden. Sie kann sich gegen den Mörder, die Mörderin, die Polizei, Gott, sogar gegen das Mordopfer selbst richten – und manchmal auch gegen Sie.
Lassen Sie sich von der Wut der Trauernden nicht einschüchtern, und nehmen Sie es nicht persönlich. Zeigen Sie Verständnis, und bleiben Sie ruhig.
Versuchen Sie nicht, die Wut weg- oder kleinzureden und Ihren Freund, Ihre Freundin dazu zu bringen, die Wut zu unterdrücken. Diese Wut ist ein normaler Teil des Trauerprozesses, und gerade bei einem so unglaublichen Verbrechen wie Mord haben die Hinterbliebenen Grund, wütend zu sein. Die Wut herauszulassen, ist daher oft heilsam.
Auch das ist möglich: Scham
Zum Verlust kommt manchmal auch Scham, weil der oder die Ermordete vielleicht in etwas Kriminelles verwickelt war, womöglich die gesamte Familiengeschichte in den Medien ausgebreitet wurde, weil man den Lebenswandel des Mordopfers etwa nicht guthieß oder auch einfach nur, weil es der eigenen Familie geschehen ist. Sogar, dass man selbst überlebt hat, kann für die Hinterbliebenen ein Grund sein, sich zu schämen.
Auch wenn Sie vielleicht nicht nachvollziehen können, was in den Hinterbliebenen vorgeht: Werten Sie nicht, sondern nehmen Sie an, was die Hinterbliebenen an Gefühlen äußern, und sprechen Sie Ihnen Ihre Gefühle nicht ab.
Die Frage nach dem Warum
Früher oder später taucht sie vermutlich auf: die Frage, warum der Mord geschehen ist; warum es ausgerechnet den geliebten Menschen traf.
Auch wenn Sie diese Frage nicht beantworten können und die Angehörigen im tiefsten Inneren vermutlich selbst wissen, dass es darauf keine Antwort gibt: Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, allem im Leben einen Sinn zu geben.
Lassen Sie den Trauernden ihre Zeit
Der Mord an einem geliebten Menschen hinterlässt tiefe Wunden, traumatisiert die Zurückbleibenden. Ihre Trauer ist daher viel länger akut als „reguläre“ Trauer (und selbst diese hält länger an, als viele glauben).
Lassen Sie den Angehörigen daher die Zeit, die sie brauchen, um ihren Verlust zu verarbeiten. Auch nach Jahren kann die Trauer immer wieder hochkommen, haben die Hinterbliebenen Redebedarf, brauchen sie Ihre Unterstützung.
Suchen Sie von sich aus den Kontakt
In der ersten Zeit fehlt den Angehörigen oft die Kraft, zum Telefonhörer zu greifen, jemanden anzuschreiben. Daher: Tun Sie es. Melden Sie sich aktiv bei der Familie des Opfers.
Auch nach der akuten Trauerphase sollten Sie den Kontakt von sich aus initiieren. Das Trauma, einen geliebten Menschen durch einen Mord zu verlieren, lässt sich nicht in wenigen Monaten verarbeiten, es braucht meist Jahre, und viele kommen nie ganz darüber hinweg.
Allerdings wissen die Hinterbliebenen auch: Für die meisten Menschen geht das normale Leben weiter, während sie noch mit ihrer Trauer beschäftigt sind. Das verunsichert die Angehörigen. Können sie nach einem, nach zwei Jahren mit anderen noch über die Tat sprechen? Ist es angebracht, auch drei Jahre nach der Tat noch aus heiterem Himmel in Tränen auszubrechen?
Nehmen Sie den Hinterbliebenen diese Unsicherheit, indem Sie den ersten Schritt machen. Rufen Sie an, schreiben Sie eine Whatsapp, besuchen Sie die Familie, den Freund, die Freundin. Dadurch zeigen Sie: Ich bin weiterhin für dich da, und es ist in Ordnung, wenn du weiterhin trauerst.
Fragen Sie, was der oder die andere braucht
Falls Sie nicht wissen, wie Sie jemanden, der gerade um einen ermordeten Menschen trauert, unterstützen können, fragen Sie ganz offen, was er jetzt braucht oder sie sich wünscht.
Zeigen Sie, dass auch Sie in dieser ungewohnten Situation unsicher sind – dass Sie aber, egal was kommt, für den anderen Menschen da sind.
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