Demenz – Abschied nehmen von dem Menschen, den man einmal kannte
Wir werden immer älter. Entsprechend nimmt die Zahl der Demenzerkrankten zu. Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2060 rund ein Drittel aller über 65-Jährigen an einer Form von Demenz erkrankt sein wird. Demenz, deren bekannteste Form Alzheimer ist, bezeichnet den schleichenden Verfall der kognitiven Funktionen des Gehirns.
Am Anfang ist es nur Vergesslichkeit, dann wird es mehr. Irgendwann wissen die Menschen nicht mehr, wie bestimmte Handhabungen funktionieren. Lesen, schreiben, Schuhe binden. Anziehen, Zähne putzen, den Fernseher anschalten. Zum Schluss geht es ganz zurück: Die Betroffenen verlernen zu laufen, ihre Blase und den Stuhlgang zu kontrollieren, müssen gefüttert werden. Und manche verlernen sogar das Schlucken. Das ist das Endstadium. Danach folgt bald der Tod.
Doch bevor es soweit ist, ist der Geist schon lange gegangen. Und mit dem Geist die Persönlichkeit des Menschen, den man einmal kannte. Einige vergessen einfach nur alles, andere verändern sich komplett. Werden aggressiv, schimpfen, schlagen. Wieder andere werden ruhig. Doch eines ist klar: Der Mensch, der früher einmal da war, ist fortgegangen. Lange bevor sein Körper geht.
Die Mehrheit der Demenzkranken wird von Angehörigen, häufig Partnern oder Kindern, gepflegt. Laien, die meist zum ersten Mal in ihrem Leben mit Demenz und ihren Auswirkungen konfrontiert werden. Sie sind nicht nur mit der Pflege beschäftigt, sondern ebenso mit den eigenen Gefühlen, die die Krankheit des Gegenübers bei ihnen auslöst.
Ist das noch der Mensch, den man liebt?
Wie ist es, wenn die Mutter, die einem als Kind das Schuhe binden beigebracht hat, nun auf einmal selbst die Schuhe nicht mehr binden kann? Wenn die Gespräche mit dem Vater sich im Kreis drehen, weil er alle zwei Minuten die gleiche Frage stellt? Wenn das Verhältnis zwischen Ehepartnern nicht mehr das von Mann und Frau, sondern das von Eltern zum Kind ist?
Die Angehörigen schwanken oft zwischen Liebe, Trauer und Wut. Liebe für den Menschen, Trauer um das Leben, das man einst mit dem anderen führte, und Wut auf ihn. Das Leben mit einem Demenzkranken ist nicht leicht und fordert die Angehörigen häufig bis an ihre Grenzen heraus. Sie müssen lernen, mit ihren eigenen Aggressionen gegenüber dem Pflegebedürftigen umzugehen. Damit, dass sie seine Reaktionen nicht verstehen und manchmal glauben, der andere würde sie bewusst ärgern, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass auf einmal die nächste Fähigkeit verlorengegangen ist.
Es ist ein Abschied auf Raten. Ein Abschied von der Zeit mit dem Partner oder ein Abschied von der Kindheit, und das löst Trauer aus. Die Angehörigen müssen mit dem Schmerz umzugehen lernen, nicht mehr erkannt zu werden, von der eigenen Mutter, dem eigenen Vater vergessen zu sein. Lernen, dies als Teil der Krankheit zu akzeptieren und nicht als Zurückweisung zu sehen.
Mit jeder verlorengegangenen Fähigkeit rückt der Tod des Erkrankten ein Stückchen näher. Wenn der Mensch letztlich stirbt, sind die Reaktionen unterschiedlich. Obwohl der Schmerz über den Tod überwiegt, mischt sich nicht selten ein wenig Erleichterung hinein: Endlich kann man wirklich um den Menschen, den man bereits vor Jahren verloren hatte, trauern. Der physische Tod war nur noch der letzte Schritt.
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Doch die Erleichterung, die man empfindet, kommt gepaart mit einem schlechten Gewissen. Weil man nach Jahren der Pflege den Tod des Erkrankten beinahe herbeigesehnt hatte. Ihn als Erlösung betrachtet. Und das insgeheim weniger für den Erkrankten als für sich selbst. Ein Tabu, das nur selten angesprochen wird.
Angehörigengruppen können zu Lebzeiten des Demenzerkrankten, aber auch darüber hinaus, große Unterstützung leisten. Hier kommt man mit Menschen zusammen, die in der gleichen Situation sind, die wissen, was man gerade durchmacht. Und hier kann man über seine zwiespältigen Gefühle sprechen und wird verstanden. Ein ganz wichtiger Punkt für die Angehörigen.
Neben den Angehörigengruppen gibt es noch eine Vielzahl an weiteren Unterstützungsmöglichkeiten, die Angehörigen helfen, die Pflege und den Abschied leichter zu bewältigen.
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