Von Beinhäusern, bemalten Schädeln und Knochenkunst
Sie finden sich von Deutschland bis Italien, von Frankreich bis Griechenland: Beinhäuser. Meist unterirdische Anlagen, in denen sich hunderte, tausende, ja, manchmal mehrere zehntausende von menschlichen Gebeinen stapeln.
Der Brauch der Beinhäuser begann aus ganz praktischen Gründen: Ab dem 12./13. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung, und der Platz auf den Friedhöfen in den Städten und Gemeinden wurde knapp. So wurden die Toten nach einer Liegezeit von 10 bis 20 Jahren wieder ausgegraben, um Platz für neue Gräber zu schaffen.
Nach dieser Zeit war vom Fleisch nichts mehr übrig. Doch wohin mit den unverwesten Knochen? Da die Menschen an eine körperliche Wiedergeburt am Tag des Jüngsten Gerichts glaubten, konnten die Knochen nicht zerstört, sondern mussten aufbewahrt werden. Dies geschah meist in beziehungsweise unter Kirchen in Kellern und Katakomben in so genannten Ossuarien, auch als Beinhäuser oder in Süddeutschland und Österreich als Karner bezeichnet. Zwischen dem 12. und dem Ende des 19. Jahrhunderts war dies vielerorts gängige Praxis. Heute werden nur noch auf den speziellen Wunsch der Familie die Gebeine eines Verstorbenen in ein Beinhaus überführt.

Ein Beinhaus für 130.000 Tote
In Oppenheim ist das größte Beinhaus Deutschlands zu besichtigen. Zwischen 1400 und 1750 fanden die Oppenheimer Toten hier ihre wirklich letzte Ruhestätte. In dem etwa 70 Quadratmeter großen Gewölbe stapeln sich die Gebeine von rund 20.000 Menschen bis unter die Decke.
Doch in Beinhäusern lagern häufig nicht nur die Überreste von exhumierten Verstorbenen, die an diesem Ort zum zweiten Mal beigesetzt wurden. Musketenlöcher in Schädeln und andere charakteristische Schlachtverletzungen an den Knochen bezeugen: Oftmals wurden dort die Knochen (unbekannter) Soldaten bestattet, die man in der Erde ehemaliger Schlachtfelder fand.
Ein Beinhaus eigens für die Überreste von Soldaten geschaffen, steht im französischen Douaumont, nahe Verdun. Hier fand eine der längsten, zermürbendsten und blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs statt. Bis heute weiß man nicht, wie viele Tote es wirklich gab. Schätzungen gehen von rund 200.000 Toten direkt vor Ort aus (und von ungefähr 150.000, die später an ihren Verwundungen andernorts starben). Bei einer solchen Anzahl von Toten bleibt es nicht aus, dass die gesamte Gegend einem riesigen Friedhof glich.
Der Grundstein für das Beinhaus wurde 1920 auf Initiative des damaligen Bischofs von Verdun, Monsignore Ginisty, gelegt. Dieser war entsetzt, als er sah, dass Sammler auf den ehemaligen Schlachtfeldern nicht nur Helme, Waffen oder Munitionsteile, sondern auch Knochen und Schädel auflasen und mitnahmen, um sie zu verkaufen. So begann er gemeinsam mit einigen Helfern, die Überreste der Gefallenen zu bergen, um sie erst in einer Holzbaracke zu deponieren und später – nach der Fertigstellung des Beinhauses 1927 – dort zur letzten Ruhe zu betten. Heute verwahrt es die sterblichen Überreste von rund 130.000 unbekannten Soldaten aller beteiligten Nationen.
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Bemalte Schädel und Kronleuchter aus Knochen
Aus katholischen Gegenden Mitteleuropas ist zudem eine besondere Tradition überliefert: Die Schädel der Verstorbenen wurden bemalt und teilweise liebevoll in kleinen Kästchen einzeln aufbewahrt. Für Ehepaare oder nahe Verwandte gab es Doppelkästchen, damit sie über den Tod hinaus vereint sein konnten. Die Köpfe der Toten wurden nach dem Exhumieren gewaschen und beschriftet. Meist wurden der Name und das Todesjahr darauf vermerkt, bisweilen der Beruf oder weitere Informationen über den Verstorbenen hinzugefügt. In manchen Gegenden wurden die Schädel fernerhin kunstvoll mit Ornamenten verziert. Über eines der bekanntesten Beinhäuser, das bemalte Schädel enthält, verfügt die österreichische Gemeinde Hallstatt.
Kunst auf beziehungsweise aus menschlichen Knochen findet sich immer wieder und lässt uns heute zwischen Faszination und gruseligem Schauer zurück. In früherer Zeit sollte diese Art von Kunst vor allem an die Sterblichkeit des Menschen erinnern.
Eine ganz spezielle Kunst aus Knochen hingegen findet sich in der Stadt Kutná Hora im Stadtteil Sedlec, circa 70 Kilometer östlich von Prag: Girlanden, Kronleuchter und ein Familienwappen gefertigt aus etwa 10.000 Skeletten.
Um den Hintergrund zu verstehen, muss man ein wenig ausholen: Im 13. Jahrhundert brachte der Abt des damals dort ansässigen Klosters heilige Erde aus Jerusalem mit und verteilte sie auf dem örtlichen Friedhof. Von nun an wollten die Menschen der Umgebung in der heiligen Erde von Sedlec begraben werden. Als die Mönche einige Jahrhunderte später den Friedhof verkleinerten, da sie neue Ackerflächen benötigten, legten sie an die 40.000 Skelette frei. Was damit tun? Das Einfachste war, ein Ossuarium in der Kirche anzulegen. Das taten sie.
Im 19. Jahrhundert wurde die Kirche verkauft. Als die neuen Besitzer, die Familie Schwarzenberg, das Ossuarium betraten, fanden sie dies bis unter die Decke mit Knochen gefüllt vor. Sie beauftragten den Tischler und Holzschnitzer František Rint damit, Ordnung in das Ossuarium zu bringen. Dieser hatte seine ganz besondere Vorstellung, was „Ordnung“ bedeutete. So bildete er das Familienwappen der Familie Schwarzenberg aus Hüftknochen nach, schuf Monstranzen aus Schädeln und entwarf einen Kronleuchter, in dem er jeden Knochen des menschlichen Körpers mindestens einmal verwendete.
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