Wie selbst ein bisschen sterben – Trauerkleidung
Schwarz. Dunkelheit. Die Abwesenheit des Lichts. Abwesenheit des Lebens. In Europa ist Schwarz die Farbe des Todes, die Farbe der Trauer und der Trauerzeit. Schwarze Kleidung bzw. spezielle Trauerkleidung macht die Trauer, die man für einen Verstorbenen empfand, nach außen sichtbar. Zumindest früher.
Wer älter als 40 Jahre ist, wird sich vielleicht noch erinnern: Früher erkannte man Trauernde schon von Weitem an ihrer Trauerkleidung. Vor allem Witwen trugen während der Trauerzeit für mindestens ein Jahr Schwarz, in dörflichen Gegenden (vor allem im Süden Europas) manchmal sogar für den Rest ihres Lebens. Auch beim Tod anderer Verwandter tauschte man für eine Zeit seine farbige Kleidung gegen schwarze ein. Heute ist dieses offensichtliche Zeichen der Trauer aus dem Stadtbild so gut wie verschwunden. Zwar wird noch immer Schwarz getragen, doch schwarze Kleidung ist längst nicht mehr (nur) ein Zeichen von Trauer. Wer Schwarz trägt, tut dies meist, weil es ihm oder ihr gefällt; umgekehrt tragen Trauernde heute nur noch selten Schwarz. Das war nicht immer so.
Trauerkleidung zu tragen war ein Privileg
Die Geschichte der Trauerkleidung ist lang. Sie beginnt in vorchristlicher Zeit. Damals fürchteten die Hinterbliebenen, der Geist des Verstorbenen könnte zurückkehren und sie verfolgen. Um sich zu verstecken und unsichtbar zu machen, hüllten sie sich in schwarze Gewänder. Im Christentum wandelte sich die Bedeutung der Trauerkleidung. Trauerkleidung wurde zum Ausdruck des Schmerzes über den Verlust eines Angehörigen und gewann auf diese Weise eine mitunter therapeutische Bedeutung für die Trauernden.
Bis zum 14. Jahrhundert gab es keine einheitliche Trauerkleidung, nicht einmal Schwarz war als übereinstimmende Farbe vorgesehen. Man nimmt an, dass sich die erste schwarze Trauerkleidung an die schwarze Tracht der Nonnen anlehnte. Witwen begannen, sich in schwarze Roben zu hüllen, um jegliche Weiblichkeit zu verbergen. Attraktivität und Sexualität galten als unvereinbar mit Trauer.
Im Mittelalter war es ein Privileg, Trauer zu tragen. Nur Adelige durften sich in Trauerkleidung hüllen. Es herrschten strenge Bekleidungsregeln: Frauen trugen schwarze Kittel, Kopftücher und Hauben, Männer Kapuzen und Umhänge, die an Mönchskleidung erinnerten.
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Auch Trauerkleidung unterliegt der Mode
Ab dem 15. Jahrhundert begann man, auch Trauerkleidung modischer zu gestalten. So wurden Trauermäntel und Umhänge immer prächtiger, die Hauben immer größer. Teilweise hatten Schleppen und Hauben solche Ausmaße, dass die Trauernden sich darin kaum bewegen konnten. Um dem Prunk Einhalt zu gebieten, schrieb man wieder mehr Schlichtheit vor und näherte die Trauerkleidung der Alltagskleidung an. So verlor sie ihre Ähnlichkeit mit Mönchs- und Nonnenkleidung.
Ab dem 17. Jahrhundert verschwanden die Kapuzen an der Trauerkleidung, und Hüte übernahmen die Aufgabe, das Haar zu bedecken. Da die Lebenserwartung vergleichsweise gering war, trug man relativ häufig Trauer. Viele Familien besaßen mehrere Trauergarnituren. Gleichzeitig wurde Trauerkleidung abermals modischer. Es fanden Seide und andere edle Stoffe Verwendung, so dass es sehr teuer wurde, entsprechend der Mode zu trauern.
Weiterhin war Trauerkleidung überwiegend dem Adel vorbehalten. Das aufstrebende Bürgertum wollte jedoch seine Trauer ebenfalls nach außen zeigen und übernahm nach und nach den Brauch der Trauerkleidung. Einige verschuldeten sich sogar dafür. Daher wurde der Aufwand im Laufe der Zeit wieder zurückgeschraubt. Im 19. Jahrhundert wurde die Trauerkleidung zunehmend schlichter, die teuren Stoffe machten Alltagsstoffen Platz. Der Unterschied zur normalen Kleidung bestand bald nur noch in der Farbe. Nun konnten es sich auch die ärmeren Schichten leisten, Trauer zu tragen.
Volltrauer – Halbtrauer – Abtrauer – Die Zeiten der Trauer waren geregelt
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts regelten gesetzliche Vorschriften, wie lange man Trauer zu tragen hatte. Dabei unterschieden sich die vorgeschriebenen Trauerzeit und die Trauerkleidung von Epoche zu Epoche und von Region zu Region. Ferner richtete sich die Länge der Trauerzeit nach dem Verwandtschaftsgrad zum Verstorbenen. Für Ehegatten waren in manchen Regionen zum Beispiel 12 Monate üblich, für Eltern 6 Monate, für verstorbene Kinder unter 15 Jahren 4 Monate und für Kleinkinder und Säuglinge nur einige Wochen.
Zusätzlich wurde festgesetzt, wie lange man in „tiefer Trauer“ zu gehen hatte, also komplett Schwarz gekleidet sein musste, und ab wann man wie lange in „Halbtrauer“ beziehungsweise „Abtrauer“ zu gehen hatte. In der Zeit der Halb- und Abtrauer durfte schon ein wenig Weiß oder Grau gezeigt werden.
Der Erste Weltkrieg änderte auch die Trauerzeit
Während des Ersten Weltkrieges lockerten sich die strengen Trauervorschriften. Denn auf einmal gab es so viele Tote, dass fast alle Menschen ständig in Trauer hätten gehen müssen. Die Frauen, die stets als die Haupttrauernden angesehen wurden, mussten fortan in „männlichen“ Bereichen arbeiten. Arbeitskleidung war praktischer als Trauerkleidung. Nach dem Krieg zeigten sich dann immer weniger Frauen bereit, über längere Zeit Trauerkleidung zu tragen; sie wechselten schnell in ihre Alltagskleidung.
In den 1920er Jahren wurden schließlich die letzten gesetzlichen Vorschriften zu Trauerzeit und -kleidung gestrichen. Lediglich gesellschaftliche Konventionen blieben. Doch auch diese schwinden seit den 1960er Jahren zunehmend. Es bestehen immer weniger Normen, Regeln und Riten, an die wir uns halten. Die gesellschaftlichen Erwartungen nehmen ab, wir bestimmen selbst, ob und wie lange wir ein äußeres Zeichen der Trauer tragen. Für die Kulturanthropologin Natascha Hoefer ist das Verschwinden der Trauerkleidung ein Sinnbild für eine Kultur, die die Jugend preist und den Tod ausblendet.
Trauern ohne Trauerkleidung: Freiheit oder Schutzlosigkeit?
Das Verschwinden der Trauerkleidung ist so auf der einen Seite mit Freiheit und Selbstbestimmung verbunden, indem jeder individuell entscheidet, ob er seine Trauer zeigt. Zum anderen ist es Ausdruck einer Gesellschaft, die den Trauernden den Schutz nimmt. So wie heute alles immer schneller geschehen soll, so wird auch oft von Trauernden erwartet, schon nach kurzer Zeit wieder normal zu funktionieren. Trauerkleidung als äußeres Zeichen des Schmerzes zeigt(e) der Umwelt, dass man gerade jedoch nicht in der Lage war zu funktionieren. Die schwarze Kleidung war folglich nicht nur gesellschaftliche Konvention; sie bot den Trauernden zudem Rückzugs- und Schonraum – vor Ansprüchen, die man nicht erfüllen konnte. Die Trauerkleidung erinnerte die Mitmenschen daran, dass Trauer und Schmerz eben nicht nach wenigen Wochen beendet sind.
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